Ganz schön intime Blicke durchs Schlüsselloch - Die Welt - ICON

Dem Berliner Fotografen Christian Mamoun erlauben ganz unterschiedliche Menschen, ihr Zuhause zu fotografieren. Nun wird die charmante, sehr private Bilder-Serie “Home” in Paris ausgestellt.
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Normalerweise überlegt man es sich gut, wen man in seine vier Wände, ins eigene Reich hineinlässt. Das Zuhause eines Menschen ist schließlich etwas sehr Intimes, doch Christian Mamoun hat es geschafft, in über 30 Wohnungen verschiedener Menschen Einblick zu gewinnen. Und das alles wegen seiner Kunst, der Fotografie.

Der 25-jährige gebürtige Berliner studiert an einer der bekanntesten und besten Kunst-Hochschulen Frankreichs, der École des Arts Decoratifs Paris. Nun ist ein zweiter Traum in Erfüllung gegangen: Als einer von 40 Studenten aus ganz Frankreich darf er auf dem Pariser Kunst-Festival "ICI&DEMAIN" (zu Deutsch: Hier und morgen) seine Bilder-Serie "Home" ausstellen, für die er in all diese Wohnungen blicken durfte. Das Festival findet vom 12. bis 26. März statt und wird vom Pariser Rathaus kuratiert.

Doch nicht genug der Ehre: Seine Fotografien werden an der offiziellen Eröffnungs- sowie an der Abschlussfeier ausgestellt. Ein Gespräch über seine Arbeit als Fotograf in Frankreich, sein Projekt "Home" und sein großes Thema – der Frage nach dem Zuhause.

ICON: Wie kommt ein junger Deutscher dazu, mit 18 Jahren die Heimat zu verlassen und in Frankreich Fotografie zu studieren?

Christian Mamoun: Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen, aber ich hatte stets den Drang zu reisen, andere Orte zu sehen und an ihnen zu leben. 2008, mit 18, bin ich dann nach Marokko. Ich war zwischen Rabat, Casablanca und Marrakesch unterwegs, bin da viel gependelt und habe während des Drehs des ersten marokkanischen Western-Films "Kanyamakan", für den ich das Making-Of gemacht habe, Leute getroffen, die mich mitnahmen nach Paris.

Dort habe ich ein Vorbereitungsjahr gemacht, für die Aufnahme an einer Kunst-Hochschule. Es klappte, und so bin ich 2010 zum ersten Studium nach Nantes gezogen. Da habe ich ein Jahr an der École Supérieure de Beaux Arts studiert, und das ohne Abitur.

ICON: Aber Nantes blieb nicht Ihre einzige Station, wie oft sind Sie seit 2010 umgezogen?

Mamoun: Über Nantes ging es nach Genf, dort studierte ich unter anderem bei der wunderbaren Fotografie-Lehrerin Aurélie Pétrel, die in Frankreich sehr prägend und bekannt ist in Bezug auf Kunst-Fotografie. Sie beeinflusste sicherlich, dass mein Interesse für die Fotografie erst so richtig erwachte.

Von Genf aus ging es 2013 zurück nach Nantes, wo ich mein Diplom gemacht habe. Und 2014 ging es dann dank der Master-Zusage wieder nach Paris. Insgesamt bin ich somit in gut sechs Jahren 13 Mal umgezogen, inklusive Umzüge innerhalb der Städte.

ICON: Nun studieren Sie also in Paris und schreiben gerade an Ihrer Master-Arbeit, die sich mit Doppel-Kulturen sowie der Frage nach dem Zuhause befasst. Wie steht das in Zusammenhang zu Ihrer Bilder-Serie "Home"?

Mamoun: Zunächst mal bin ich ja selbst zwischen verschiedenen Kulturen aufgewachsen. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater ist Marokkaner. Das eröffnet natürlich eine andere Sicht auf das Thema Heimat und Zuhause. Und in der Masterarbeit geht es darum, was es eigentlich ausmacht, sich zu Hause zu fühlen, und was man dafür tut, um zu Hause anzukommen, wodurch dieses Gefühl erzeugt wird.

Dabei unterscheide ich zwischen der Wohnung, dem festen Gemäuer, dem Stein-Zuhause und dem emotionalen Zuhause. Das Stein-Zuhause ist etwas Permanentes, etwas fest Gebautes, ein materielles Objekt, das man unter Umständen sogar besitzt. Das emotionale Zuhause hingegen ist etwas viel Instinktiveres, das viel mehr in einem bestimmten Moment passiert. Durch die 13 Umzüge in den letzten fünf Jahren habe ich für mich selbst eigentlich kein Zuhause gebaut, zumindest kein festes Nest, also ein "Foyer" errichtet.

Aber meine Freunde haben in derselben Zeit, in der ich immer weitergezogen bin, ein festes Zuhause eingerichtet. Da ich viel umgezogen bin, habe ich natürlich unheimlich viele Leute getroffen und dann geguckt, wie die das mit dem sich-Zuhause-fühlen eigentlich machen. Da ich Bilder mag und Fotografie als Medium mir am nächsten steht, war es eigentlich nur logisch, das eine mit dem anderen zu verbinden.

So ist die Idee zur Foto-Serie entstanden. Anfangs war das eher eine Sache, die ich für mich gemacht habe, aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es auch andere interessiert, wie Menschen in ihrer intimsten Umgebung, ihrem Zuhause, eigentlich leben.

ICON: Und wie definiert sich der Begriff "Home" nun für Sie? Manche Bilder zeigen Wohnzimmer, in denen Menschen zwar Zeit verbringen, aber nicht schlafen?

Mamoun: Ich habe den Begriff "Home" ausgesucht, weil Zuhause so etwas Generelles ist, es ist eben nicht nur dieses "chez soi", "chez moi", "le foyer", sondern "Home" hat sowohl eine geografische als auch eine emotionale Bestimmung. Es ist eine universelle Begrifflichkeit. Im Endeffekt geht es um Lebensraum und nicht ausschließlich darum, ob die Menschen in diesem Raum auch schlafen, essen oder arbeiten. Es kommt nur darauf an, dass es ein Zimmer ist, an dem mehrere Lebensqualitäten zusammenkommen. Wie genau sich das für denjenigen, der da lebt, definiert, ist mir gleich.

ICON: Wie kommen Sie auf die Menschen, die Sie fotografiert haben?

Mamoun: Am Anfang war es mein eigener Freundeskreis, erst in Nantes, dann über Freunde und Verwandte meines Vaters in Marokko und jetzt in Paris. Und mit der Zeit entwickelte sich das von selbst weiter. Mehr Menschen hörten davon und fanden es toll, mitzumachen. Es ist für sie eine Form der Erinnerung an eine bestimmte Zeit im Leben. Dann gibt es beispielsweise auf Partys oder in Cafés Leute, die auf mich zukommen und fragen, ob ich Lust hätte sie und ihre Wohnung zu fotografieren. Ich nehme da eigentlich jede Anfrage an.

ICON: Und wie entstehen die Bilder?

Mamoun: Für mich ist es wichtig, nicht zu stark in die Wohnung, sprich in das Private der Menschen, die ich fotografiere, einzugreifen. Ich sehe die Wohnung meist auch das erste Mal an dem Tag, an dem ich sie betrete, um Fotos zu machen. Wenn ich dort ankomme, installiere ich erst einmal das Blitzlicht.

Das ist sozusagen eine klassische "Mise en lumière", eine Lichtsetzung der Wohnung, wobei auch Schatten an die Wände geworfen werden. Schatten wiederum stehen in starker Verbindung zum Theater und bei meinen Bildern geschieht, wenn man so will, eine Theatralisierung des Alltags.

Die Wohnung wird dadurch zu einer Bühne, und die Menschen, die in dieser Wohnung leben, werden zu Modellen, dadurch dass ich ihnen zumindest ein bisschen sage, wie sie sich hinsetzen sollen. Wobei die Posen schon immer natürlich sein sollen, ich frage auch jeden, was für eine Pose sich für sie oder ihn natürlich anfühlt, und dann probieren wir es einfach aus.

ICON: Wie lange dauert das Ganze?

Mamoun: Vom Betreten bis zum Bild, das ich am Ende im Kasten habe, etwa 20 bis 30 Minuten. Es gibt ja nur zwei Lichtquellen, es ist eine Mischung aus Blitzlicht und natürlichem Ambiente-Licht.

ICON: Sagen Sie den Leuten vorher, dass sie die Wohnung aufräumen sollten?

Mamoun: Nein, auf keinen Fall. Ich sage lediglich, dass ich komme, am liebsten sogar eher kurzfristig und spontan, dann sind die Wohnungen im Idealfall authentischer, also weniger vorbereitet.

ICON: Gibt es schon eine Idee, was mit der Serie noch passieren soll?

Mamoun: Einerseits gibt es jetzt im März die Ausstellung während des Festivals. Aber ein Buch zu "Home" würde mir auch gut gefallen. Bisher habe ich an die 30, 40 Wohnungen fotografiert, aber ich bräuchte noch viel mehr Bilder, um eine strenge, qualitativ hochwertige Auswahl treffen zu können aus den besten Schüssen. Aber die Serie geht definitiv weiter.